IT-Aktien auf Berg- und Talfahrt

BörsenkursLange waren die grossen, börsenkotierten IT-Unternehmen von der Börse verwöhnt. Ihr Aktienkurs stieg nach dem Platzen der ersten Internetblase stetig und das freute alle – Manager, Anleger und Analysten. Diesmal stiegen auch die Umsätze und nicht nur die Erwartungen der Börse. Nur, dass die Aktienkurse im Hinblick auf die Erfüllung der überrissenen Erwartungen viel steiler stiegen als das Geld in die Kassen der Firmen floss. Da waren die IT-Unternehmen schon fast zum Wachstum gezwungen, um nach aussen zu zeigen, wie gut es ihnen ging, auch wenn dies nicht immer ganz der Realität entsprach. Gedanken an Parallelen zur Verschwendungssucht auf der arabischen Halbinsel kommen einem da nicht ganz zufällig.

So merkte wohl kaum einer, dass sich erneut eine Blase in der Finanzsphäre der IT bildete. Und zusätzlich schwand zunehmend fast unbemerkt die Basis für die bislang erfolgreichen Geschäftsmodelle. OpenSource, das Internet und eine einsetzende, allgemeine Marktsättigung nagen an der Basis für eine erfolgreiche Weiterführung der Geschäftstätigkeit nach bisherigem Muster. An Managerschulen wird zwar gepredit, Veränderung sei die einzige Konstante, aber trotzdem werden viele immer wieder von Weihnachten überrascht. Als Folge davon wird die Kluft zwischen den Erwartungen der Analysten und Anleger sowie den real erzielbaren Gewinnen immer grösser. Entsprechend gross ist die Enttäuschung, was sich in den teilweise dramatisch fallenden Aktienkursen der letzten Wochen und Monate widerspiegelt. Dass die neue IT-Krise zeitgleich mit der Subprime-Hypothekarkrise und einer grösstenteils abkühlenden Weltwirtschaft fällt, ist reiner Zufall, obwohl ich zugeben muss, dass gewisse Wechselwirkungen bestehen mögen. Umso schwerer fällt es, Ursache und Wirkung auseinander zu halten – besonders wenn man nicht über Insiderwissen verfügt. Reine Finanzexperten ohne tiefere Kenntnis der Branche sind hier klar im Nachteil. Schauen wir uns deshalb ein paar der grossen Player der Branche einmal etwas genauer an …

Als Computerhersteller war Apple lange Zeit der Erzrivale der IBM-PCs und setzte dabei auf Motorola-Prozessoren. Computer gehören immer noch zu Apples Kerngeschäft, wobei man mittlerweile auf Intel-Prozessoren umgestiegen ist. Mit iTunes lancierte Apple als erster grosse Anbieter ein Musik-Webportal, an das sie ihre Kunden mit dem iPod und iTunes durch ein proprietäres Musik- und DRM-Format bindet. Das iPhone war der letzte spektakuläre Coup. Die Verkaufszahlen des iPhone konnten aber die Erwartungen der Analysten nicht erfüllen, was der Hauptgrund für den eben erst erlittenen Wertverlust des Apfel-Papiers gewesen sein darf. Angesichts der wachsenden Konkurrenz fängt nun auch der Verkauf der iPods an einzubrechen, weshalb Apple bereits die Bestellung von Flash-Speichern gedrosselt hat.
Apple versteht es aber wie kaum einer in der Branche, sich mediengerecht in Szene zu setzen und die Schlagzeilen für sich zu buchen. So hat sich das Unternehmen über die Jahre eine grosse Fangemeinde herangezüchtet, die ihr auch in schlechteren Zeiten die Treue hält, obwohl Apple seine Kunden regelmässig mit überhöhten Preisen schröpft. Dabei setzt man im Gegensatz zu den Anfangszeiten weniger auf Technologie sondern vielmehr auf Design, Life Style und den „First Mover“ Effekt. Gartner prognostiziert, dass Apple ihren Marktanteil bis ins Jahr 2011 verdoppeln werde.

Apple

Googles Gewinnwachstum lag 2007 mit 17 Prozent unter den von Analysten erwarteten 25 Prozent trotz Milliardengewinnen von netto 1,21 Milliarden Dollar (im Vorjahr waren es noch 1,03 Milliarden) und prompt verlor die Aktie gleich 7 Prozent. Mittlerweile hat die Aktie an der New Yorker Börse bereits wieder die 500 Dollar-Marke erreicht und auch schon kurzzeitig unterschritten, was aber immer noch einer Verfünfachung des Kurse seit dem Börsengang 2004 entspricht. Die schlechten Aussichten zur US-Konjunktur könnten sich negativ auf das Geschäft mit der Online-Werbung (Googles Haupteinnahmequelle) auswirken und das Unternehmen ist zu sehr von seinem Geschäft mit Suchergebnis-Anzeigen abhängig. Dass es dem zum Konzern angewachsenen Suchspezialisten trotz immenser Investitionen immer noch nicht gelungen, neue Geschäftsfelder als Geldquellen zu erschliessen, verheisst nichts Gutes. Weil damit zu rechnen ist, dass sich der Markt der Internetsuche in den kommenden Jahren grundlegend verändern wird, steht Google’s Geschäftmodell auf sehr wackeligen Beinen. Daran wird auch die „neue“ Stossrichtung mit der Video-Werbung nichts ändern.

Google

Yahoo! startete einst als ganz einfaches Web-Verzeichnis-Dienst von Studenten für Studenten und hat sich im Zuge der Entwicklung zur Suchmaschine entwickelt. Wie Google ging auch Yahoo aus einem Studentenprojekt hervor und hat als einziger bedeutender Inhaltsvermittler der Anfangsjahre überlebt. Es wird aber allgemein bezweifelt, dass Yahoo weiterhin alleine existieren kann, was ich allerdings nicht wirklich nachvollziehen kann. Mit seiner Suchmaschine und seinen Werbekunden ist Yahoo auf dem ersten Platz auf der Übernahmeliste von Microsoft gelandet. Das Übernahmeangebot von 44,6 Milliarden US-Dollar wurde von der Yahoo-Führung negativ beantwortet. Gemäss Konzernchef Jerry Yang prüft Yahoo (zumindest vordergründig) strategische Alternativen wie eine Übernahme durch AOL oder eine Allianz mit Google bei der Web-Suche und Online-Werbung. Ob Microsoft angesichts dieser Ablehnung einen „unfriendly takeover“ wagen will, ist noch unklar. Jedenfalls ist Mehrheitsaktionär Bill Gates nicht bereit, ein besseres Angebot zu machen. Aber vielleicht gehört das zur Microsoft-Strategie, um die Yahoo-Aktie unter Druck zu setzen und diese später günstig (und unfriendly) einkaufen zu können. Yahoo garantiert nun ihren Mitararbeitern Abgangsentschädigungen, um sie vor den Folgen einer möglichen Entlassung im Fall einer Übernahme durch Microsoft zu „schützen“. In Wirklichkeit ist das mehr ein Selbstschutz und ein geschickter Schachzug, um die effektiven Übernahmekosten durch Sozialkosten in die Höhe zu treiben und so Microsoft ein unfriendly Takeover zu erschweren. Aber gemäss Bill Gates ist seine Firma vor allem gerade an der Schaffenskraft der Yahoo-Entwickler interessiert, um Projekte schneller umsetzen zu können. Mal schauen, wie diese Schlacht ausgeht …

Yahoo

Microsoft hat seine Existenz einem leicht modifizierten raubkopierten Betriebssystem sowie einem glücklichen Lizenzvertrag mit IBM zu verdanken. Daher vermag es einen zu verwundern, dass der Softwareriese aus Redmond so wehement gegen Benutzer vorgeht, die nicht gewillt sind, den (vollen) Kaufpreis für ihre Produkte zu bezahlen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass dieses Geschäftsmodell mit den Software-Lizenzen ein Auslaufmodell darstellt. Wer einnmal eine Software gekauft hat, ist nicht mehr bereit, für die Behebung von Softwarefehlern noch jahrelang immer wieder bezahlen und monatlich Updates einspielen zu müssen. Da wird sich der Fensterhersteller etwas einfallen lassen müssen, denn um seine Gunst bei den Kunden ist es mehrheitlich ohnehin schon schlecht bestellt. Die Firma hat eine marktbeherrschende Stellung bei den Desktopsystemen und hat als Monopolist deshalb immer wieder Ärger mit Kartellbehörden und Wettbewerbshütern. Würde Microsoft bessere Software liefern, könnte sie aber auch wesentlich weniger Beratungsdienstleistungen verkaufen. In Wahrheit leben immer noch viele Anbieter und Dienstleister nur von den Unzulänglichkeiten der Microsoft-Software. Deshalb wird es der Softwareschmiede auch kaum gelingen, das Vertrauen der Kunden für Software on Demand beziehungsweise Software as a Service oder Mietsoftware zu gewinnen. Die zögerliche Akzeptanz von Windows Vista zeugt von der Skepsis der Kunden gegenüber dem Mehrwert im Vergleich zu Windows XP und liess die Aktie wieder unter die 30 Dollar-Marke fallen, weil die Erwartungen der Analysten nicht erfüllt werden konnten.
Der Konzern steckt in seiner bisher grössten Krise und sucht ähnlich krampfhaft wie Google nach Auswegen. Deshalb hat Microsoft erst kürzlich Yahoo ein Übernahmeangebot von 44,6 Milliarden US-Dollar unterbreitet. Doch Yahoo verweigert (vorläufig) die Hochzeit, weil man dem Rivalen nicht über den Weg traut. Nicht umsonst sagte einst Grady Booch (einer der Urväter von UML) in einem Vortrag: „When Microsoft knocks at your door, don’t open but immediately call your lawyer!“.
Jüngst hat Microsoft einen Strategiewechsel der Öffnung verkündet: Informationen zu Schnittstellen und Protokollen von MS-Produkten (Windows, Office, .NET, SQL Server, Exchange Server, …), die bisher als Betriebsgeheimnis gehütet wurden, sollen der Aussenwelt zugänglich gemacht werden. Auch durch Patente geschützte Technologien sollen unter „angemessenen, diskriminierungsfreien“ Bedingung und gegen „niedrige Lizenzkosten“ kommerziell genutzt werden dürfen. Nicht-kommerzielle OpenSource-Projekte mit MS-Ingredienzen können kostenfrei verbreitet werden. Der Schritt war eigentlich schon lange fällig. Mit dieser neuen (doppelten) „Interoperabilität-Strategie“ tritt Microsoft die Flucht nach vorn an, um der Isolierung durch die Marktentwicklung zu entkommen und den Anschluss nicht zu verlieren. Ob die Ankündigung wieder einmal nur eine Augenwischerei zur Besänftigung der Kritiker und Wettbewerbshüter ist oder MS wirklich einen ernst gemeinten Strategiewechsel vollzieht, wird sich bald zeigen.

Microsoft

IBM ist als Hersteller von Schreibmaschinen gross geworden und ein Urgestein der Computer-Branche. „Big Blue“ war an der Entwicklung der Computer-Industrie massgeblich beteiligt und lange Zeit federführend. Die Krise der Grosscomputer hat IBM überlebt und hält seither immer noch einen ganz beachtlichen Marktanteil. Die Sparte der Personal Computer wurde an Lenovo in China abgestossen, nachdem die Druckersparte vor Jahren schon zu Lexmark ausgegliedert wurde. Dafür konzentriert sich IBM auf die Beratung und das Geschäft mit Branchenlösungen. Mit dieser Strategie ist der Konzern gut positioniert und hat seine Risiken über alle Branchen gleichmässig verteilt.

IBM

Hewlett Packard gehört neben IBM schon zu den Dinosauriern der Branche und hat auch schon entsprechend viele Turbulenzen hinter sich. Ihre Grösse verdankt die Firma der Akquisition von Compaq, die selber zuvor die IT-Grösse DEC geschluckt hatte. Heute ist HP dem breiten Publikum vor allem für ihre Drucker und Desktop-Computer bekannt. Besonders der Verkauf von Tintendruckern garantiert eine lukrative Ausbeute beim Geschäft mit der Druckertinte, deren Preis weit über dem Goldpreis liegt. So konnte HP einen Gewinnzuwachs von 38 Prozent im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahrs verkünden.

Hewlett Packard

Der Chiphersteller Intel ist vor allem für seine Prozessoren für Personal Computer („Intel inside“) bekannt und hat es bisher geschafft, seinen Erzrivalen AMD in Schach zu halten. Allianzen mit IBM, Microsoft und anderen Marktgrössen liessen die Kartellbehörden immer wieder neugierig werden. Die für die Entwicklung einer neuen Prozessor-Generation nötigen Investitionen sind hoch, das Entwicklungs-Knowhow ist dünn gesät und die Konkurrenz schwächelt. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass Intel dank Quasi-Monopol trotz Preisdruck weiterhin gute Geschäfte machen wird, wobei ein eher unstetiger Geschäftsverlauf zu erwarten ist.

Gourmet

Dell ist ein Stehaufmännchen und steckt wieder einmal ganz tief in der Krise. Der Computerverkauf harzt, die Margen schwinden, der Preiskampf wird härter und mit Smartphones und MP3-Playern konnte Dell nicht Fuss fassen. Da helfen auch die geschickten Product Placements in US-Fernsehserien nichts, wenn der Hauptabsatzkanal der Online-Shop ist und dieser eine Einöde an Benutzerfreundlichkeit darstellt.
Die Anleger sind zudem seit letztem Jahr über die manipulierte Rechnungslegung verärgert. Der CFO trat zurück, der CEO wurde gefeuert und seither hat Firmengründer Michael Dell das Zepter wieder fest in der Hand. Mehrmals hat Dell die Erwartungen an der Wall Street nicht erfüllen können, was den stetigen Kursabstieg im Zickzack erklärt. Ob Dell diesmal die Wende schafft, ist fraglich.

Dell

Ein Wachstum lässt sich in den bestehenden Märkten nur durch Verdrängung der Konkurrenz bewerkstelligen. Deshalb suchen alle Unternehmen (teilweise sogar krampfhaft) nach neuen Geschäftsmöglichkeiten, um das bestehende Geschäft zu stützen oder zu erweitern:

  • Apple: Computerhersteller
    → Unterhaltungselektonik (iPod), Mobiltelefon (iPhone), Musik-Portal (iTunes) und (gemäss einer Markenregistrierung vom 05.02.2008) neuerdings auch zukünftiger Spielehersteller
  • Google: Internet-Suchmaschine
    → Maildienst (Google Mail), Werbevermarkter (AdSense, AdWords), Mobilfunkanbieter, Softwarehersteller und Anbieter von Online-Applikationen (Text und Tabellen, Google Analytics), Content Hoster (YouTube, Blogger), Nachrichtensammler (News),
  • Yahoo: Internet-Portal und -Suchmaschine
    → Maildienst, Werbevermarkter, Instant Messenger, Nachrichtensammler (News), Online-Übersetzer (Babel Fish), …
  • Microsoft: Softwarehersteller (Windows & Office, …)
    → Internet-Portal und -Suchmaschine (MSN), Maildienst (HotMail), Instant Messenger, Nachrichtensammler (News), Spielkonsolenhersteller (XBox), …

Das Phänomen, dass sobald ein Markt gesättigt ist, seine Teilnehmer in neue Bereiche vorzustossen beginnen, um ihre Wachstumsziele zu verwirklichen, kann auch in anderen Branchen beobachtet werden. Dies erfolgt meist über eine Erweiterung der bestehenden Marke. So werden IT-Konzerne zunehmend zum Gemischtwarenladen mit unklarer Ausrichtung. Dadurch droht die Verwässerung der Marke. Ohne eine starke Marke ist ein Erfolg am globalen Markt aber praktisch unmöglich. Die Branding-Strategen der Firmen stehen vor einer grossen Herausforderung.

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass wir uns wieder einmal in der Sättigungsphase und somit kurz vor dem Ende gleich mehrerer Lebenszyklen befinden. Die grossen Unternehmen wie Apple, Yahoo, Google, IBM und Microsoft können nicht mehr aus eigener Kraft sondern nur noch durch den Zukauf von Firmen wachsen. Der Markt wird ausgedünnt, was darauf schliessen lässt, dass die Geschäftsmodelle am Ende ihres Lebenszyklus angelangt sind. Neue Modelle müssen her!

Hat das Spekulationsobjekt IT-Aktie ausgedient? Lebenszyklen von Produkten und Märkten folgen einer S-Kurve. Das wissen alle, die sich schon einmal eingehend mit strategischem Management befasst haben. Strategische Weitsicht ist für die auf kurzfristige Gewinne orientierten Börsenspekulanten ein Fremdwort. Sie steigen meist irgendwann im Verlauf der Wachstumsphase ein und verfallen dem Irrtum, dass die lineare Interpolation im Wachstumsbereich noch lange anhält und einfach extrapoliert werden kann. Das Einsetzen der Sättigung erkennen sie nicht oder eben viel zu spät. Wenn dann die Schere zwischen Erwartungen und Realität auseinanderzuklaffen beginnt, verlieren sie buchstäblich den Boden unter den Füssen. Dann sprechen wir vom Platzen einer Blase. In dieser Bereinigungsphase wird sehr viel Geld umverteilt. Die Dummen Letzten beissen die Hunde. Wer nicht über die nötigen Insider-Informationen verfügt, sollte tunlichst seine Finger davon lassen. Spekulationen mit IT-Papieren können trozdem grundsätzlich interessant sein, denn im stillen Kämmerchen brüten viele Idealisten neue Lösungen aus – nur leider kommen sie kaum an das nötige Kapital, um diese umzusetzen. Hier schlummert ein Markt für clevere Kapitalgeber.