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Dem Sicherheitswahn verfallen

Nach dem Bombenanschlag und dem Massaker in Norwegen wird uns bewusst, dass Massenmord-Anschläge nicht nur von „fundamentalistischen Muslimen“ verübt werden. Auch in gewissen, sich als „christlich“ bezeichnenden Kreisen schlummert ein Potential zu politisch motivierten Gewaltverbrechen, obschon solche Gewalt in höchstem Masse unchristlich ist. Das scheint nun einige paranoide Profilierungsneurotiker besonders unter den Politikern zu gleichsam perversen Ideen zu inspirieren. Sie glauben, durch noch mehr präventive Überwachung der gesamten Bevölkerung mehr Sicherheit schaffen und die Gesellschaft vor geisteskranken Amokläufern schützen zu können.

„Die Alarmstufe muss erhöht werden, auch wenn das unter Umständen kostspielig wird.“, fordert Lars-Erik Cederman [1], Professor am Institut für Internationale Konfliktforschung der ETH Zürich. Er spricht von der Notwendigkeit intensivierter Geheimdienstarbeit und von Überwachung von Webseiten mit spezifischen Inhalten (zum Beispiel Hass gegen Fremde). Seine Begründung offenbart jedoch seinen eigenen Zwiespalt: „Selbstverständlich muss jede Präventivmassnahme und jede Untersuchung die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit respektieren. Aber die Gesellschaft hat ein Recht, sich gegen tödliche Gefahren zu schützen. Dieses Recht muss von der Polizei und vom Geheimdienst wahrgenommen werden. Die tragischen Ereignisse in Oslo und Utöya zeigen, dass derartige Bemühungen in Norwegen bisher möglicherweise nicht ausreichend waren.“

Auch im deutschen Bundestag werden wieder Stimmen nach einer Neuauflage der erst kürzlich vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Vorratsdatenspeicherung und nach Einführung einer „Datei für auffällig gewordene Personen [2]“ laut und der Chef des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Gridling, fordert ein stärker auf Daten konzentriertes Vorgehen. Obschon alle zugeben, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann, verlangen die Sicherheitsfetischisten immer mehr Massnahmen, welche massiv in die Grundrechte und die Privatsphäre jedes Bürgers eingreifen, ohne jedoch den dadurch angeblich gewonnen Zuwachs an Sicherheit auch nur ansatzweise beziffern zu können.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Centers in New York wurden als Erstes die Sicherheitsmassnahmen im Flugverkehr massiv verschärft. Von den irren Auswüchsen des Sicherheitswahns durfte ich mich zum Auftakt meiner Ferien am Flughafen in Zürich-Kloten persönlich überzeugen. Meiner Frau wurde die noch zu ca. 1.8 dl volle Sonnencreme abgenommen, die sie ins Handgepäck steckte, weil der Koffer schon zu war. Keine 20 Meter nach der Sicherheitskontrolle jedoch befanden sich ein Zollfrei-Shop und gleich daneben ein Kiosk. Dort konnte man sich literweise mit Hochprozentigem in Glasflaschen, mit Feuerzeugen, Zeitschriften, Taschentüchern, Make-up, verschiedenen Bonbons und Kaugummis und allem, was man als Freizeit-Terrorist sonst noch so alles für eine flugzeugerwärmende Brandbombe oder Waffen aus scharfem Glas braucht, ungehindert eindecken! Abgesehen davon wäre es ein Kinderspiel, Magnesiumpulver in Puderdosen oder Thermit [3] in Medikamentenkapseln umbemerkt durch die Sicherheitskontrollen zu schleusen, um den Flugzeugboden an der richtigen Stelle über dem Kabelbaum durchschmelzen zu lassen und praktisch die gesamte Elektronik ausser Funktion zu setzen.

Man braucht weder Chemiker, noch Physiker oder Ingenieur [4] zu sein, um es terrormässig krachen zu lassen oder ein Massaker und Blutbad wie in Norwegen anzurichten. Wer aber zur Gewalt gegen die eigene Bevölkerung aufruft, um sie angeblich gegen die Gewalt weniger, einzelner Psychopathen zu schützen, sollte als Terrorist ebenso weggesperrt werden wie die Amokläufer selber!