Politische Schönheit

Aubade für Horst KöhlerAktionskünstler sind meist eher verrückte Menschen, die ein Ästhetik-Verständis jenseits der Norm haben und in ihrer ganz eigenen Welt leben. Nicht selten würde man am liebsten den einen oder anderen im Irrenhaus verwahren. Doch ab und zu inszenieren sie mitunter auch Aktionen, die zum Schmunzeln und vielleicht auch einmal zum Nachdenken animieren.

Eine dieser kreativen Normverächter ist die Gruppe „Zentrum für politische Schönheit„, die sich selber als „Think Tank für Aktionskunst“ bezeichnet und als politische Partei mit Nina van Bergen und Bill van Bergen als offizielle Bundeskanzler-Kandidaten an der nächsten Bundestagswahl antritt.

Am Morgen des Samstag, den 25. Mai 2009 (während der Bundesversammlung) trug die Gruppe vor dem Bundestag mit Ernst Stadlers Gedicht „An die Schönheit“ eine Aubade (zu Deutsch ein „Ständchen“) für den wiedergewählten Bundespräsidenten Horst Köhler vor. Nachdem die Polizei die Aktion vor Ort bewilligt hatte, schritt sie aber gleich danach ein und nahm die Teilnehmer vor laufenden TV-Kameras fest, weil das rezitierte Gedicht laut LKA „meinungsäussernde Inhalte“ enthielt. Deshalb sollte Strafanzeige gegen die Gratulanten erstattet werden. Anscheinend mangelte es den Beamten an Schulbildung, um diese Poesie richtig einordnen zu können. Vielleicht fühlten sie sich aber auch durch die Kriegsbemalung der Aktivisten bedroht – wieso müssen die sich eigentlich immer so einen Dreck ins Gesicht schmieren? – oder witterten schon eine politische Revolution, denn zwei der Parolen der Künstlergruppe lauten:

„Wenn man das Wort ‚Schönheit‘ gegen das Wort ‚Politik‘ schlägt, erzeugt man den Funken für eine Revolution.“

„Wenn Politik ein Kampf der Worte ist, ist sie letztlich das Geschäft der Poesie.“

Zugegeben, Stadlers „An die Schönheit“ ist schon ein bisschen wirr und gar nicht mein Ding. Aber wollte man jeden gleich einbuchten, weil er wirres Zeug von sich gibt, müsste man wohl gleich den ganzen Bundestag in die Zelle sperren.

Was mich an der ganzen Sache stört, sind weniger die schrägen Vögel von Aktionskünstlern sondern vielmehr, dass man in einem Rechtsstaat nicht einmal mehr ein Gedicht auf öffentlichem Grund und Boden vortragen kann, ohne gleich im Zuge der Terror-Paranoia ins Visier der Gesetzeshüter zu geraten.

Neben der schöngeistigen Verwirrtheit der Aktionsgruppe „Zentrum für politische Schönheit“ findet man auf deren Website auch ihre 10 Thesen, die sie am 8. Mai 2009 am Hauptportal des Deutschen Bundestags angeschlagen hat:

  1. In jedem Menschen steckt eine tiefreichende Sehnsucht nach dem Schönen.
  2. Alles Grosse wird aus Sehnsucht herausgeboren.
  3. Menschen werden nicht nur von Ursachen sondern auch von Zielen bewegt. Schönheit, Grösse und Vollkommenheit sind Ziele.
  4. Schönheit und Hässlichkeit sind die beiden Pole, zwischen denen sich das Leben elementar abspielt.
  5. „Ein jeder wärmt auf andere Weise sich das Herz“ – Daraus ziehen die Modernen den Schluss, sich das Herz überhaupt mehr zu erwärmen. Ohne das Erlebnis von Schönheit sind die menschlichen Erfahrungen unvollständig.
  6. „Dieser behandelt Schönheit so, wie Entomologen mit Schmetterlingen umgehen. Er fängt das arme Tier, nagelt es fest und, nachdem dessen prächtige Farben verblichen sind, liegt nur noch ein lebloser Körper aufgespiesst da. Und das nennt sich dann Ästhetik.“ (Goethe)
  7. Hoffnungen sind nicht dazu da, sie aufzugeben.
  8. Was wir wissen, hängt davon ab, was wir fühlen.
  9. Eine Seele, die keine Schönheit empfunden hat, begeht emotionalen Selbstmord.
  10. Seelen ohne Poesie sind eine unentdeckte Form der Geisteskrankeit.

Ob man diese Thesen nun genial, gar philosophisch oder einfach nur schräg findet – ein bisschen mehr Schönheit im Leben täte uns allen gut und würde sich die Menscheit mehr am Schönen orientieren und weniger an der Gier, hätten wir keine Wirtschaftskrise und keine Kriege. Vielleicht lohnt es sich doch, über Schönheit etwas nachzudenken.