Selektive Wahrnehmung und selektives Hören sind degenerative Begleiterscheinungen des Alters oder von psychischen Störungen. Selektive Wahrheitsfindung und das Kommunizieren von Halbwahrheiten hingegen sind Degenerationserscheinung der modernen Medienwelt. Journalisten wollen alles wissen, aber nicht alles berichten. Nur was sie als „publikationswürdig“ und „publikationsfähig“ erachten, findet den Weg in die veröffentlichte Meinung. Zitate dazu:
- „Wir handeln geheime Dinge ab. Und zwar … wir wollen Politik verstehen und das muss ein Zuschauer oder Zuhörer oder Leser dann nicht erfahren. Sondern er muss dann nur verstehen, was wir sagen.„
- „Der Mehrwert besteht einfach darin, dass wir die Wahrheit erfahren und, so bitter das für manche auch ist, dann nicht schreiben oder nicht senden dürfen.„
Das Schweigen der Medien
Zu dieser selbst auferlegten Schweigsamkeit kommt noch der in den letzten Jahren massiv gestiegene Zeitdruck, unter dem Journalisten Ergebnisse liefern müssen. Die Publikation von Informationen über das Internet ist zu minimalsten Kosten für jedermann praktisch in Echtzeit möglich. Für kritische Fragen bleibt keine Zeit, denn die Konkurrenz könnte eine Minute schneller am Markt sein. Und dazu gehören längst nicht nur die Berufskollegen sondern immer mehr auch Privatpersonen in Blogs und sozialen Netzwerken. Mit der zunehmenden Medienverlagerung ins fast kostenlose Internet wurden die Budgets der Journalisten entsprechend gekürzt. Für seriösen, fundierten Journalismus wie vor dem Internetzeitalter ist heute kein Platz mehr. Hier sind die Amateure, die nicht von ihrer Schreiberei leben müssen, ihren Berufskollegen gegenüber sogar im Vorteil, denn sie können sich die nötige Zeit für eine seriöse Recherche leisten. Sie schreiben in der Regel nicht, um zu gefallen sondern um ihrem Publikum etwas mitzuteilen. Entsprechend ist ein Lob ein ehrliches und bei Kritik muss keine Rücksicht geübt werden.
Im Gegensatz dazu ist kritische Berichterstattung in den professionellen Medien ein Spiel mit dem Feuer und nicht selten mit der eigenen Berufsexistenz. Wer Kritik übt, wird von seinen „Quellen“ einfach nicht mehr mit „Informationen“ versorgt. Nur noch ein paar alte Hasen, die ohnehin kurz vor dem Rentenalter stehen, können sich das leisten. Berufsjournalisten stehen in einem dauernden Interessenkonflikt zwischen dem Informationsrecht der Öffentlichkeit und der Loyalität den Geldgebern gegenüber. Nicht einmal öffentlich-rechtliche Medien sind davor gefeit, denn auch sie sind abhängig von der Gunst ihrer Budgetbewilliger und Aufsichtsorgane. Wie schon bei den Zentralbanken ist auch bei den öffentlich-rechtlichen Medien die demokratische Mitbestimmung und Einflussnahme der Bürger und Steuerzahler in der Praxis inexistent.
Wie Massenmedien uns belügen
Die Massenmedien sind immer weniger geeignet, uns umfassend und gründlich über das Zeitgeschehen zu informieren. Hier werden wir nur noch mit inhaltsleeren oder manipulierten Nachrichtenfragmenten überflutet und zugedröhnt. Das ist das Resultat eines von mächtigen Lobbys kontrollierten, profitorientierten Gefälligkeitsjournalismus, der nur um die Aufmerksamkeit seines Publikums buhlt. Wie dem Vieh das Futter wird uns vorgesetzt, welche Informationen wir konsumieren sollen. Zugleich wird auch immer strenger kontrolliert, was wir tun und wie wir uns verhalten, denn überall hinterlassen wir unsere digitalen Spuren und diese landen in Datenbanken. Websites und Smartphone-Apps merken sich, welche Artikel, Bilder und Videos uns interessieren und wieviel Zeit wir jeweils dafür aufgewendet haben. Daraus werden Persönlichkeits- und Interessenprofile erstellt, die für Werbeeinblendungen und für Vorschläge für weitere Inhalte dienen. Um uns all dem zu entziehen, müssten wir uns schon selber aktiv darum bemühen. Doch das kostet Kraft und Zeit und setzt ein Mindestmass an Intelligenz und Technologiekenntnissen voraus. Und nur wenige sind mit allen Dingen hinreichend gesegnet. So laufen wir Gefahr, nur noch ein Spielball der Medien zu sein.
Die Vorstellung vom „mündigen, gut informierten Weltbürger“ scheint mir ein stark revisionsbedürftiges Selbstbild und sehr realitätsfremd zu sein. Unser Weltbild beruht zu einem grossen Teil auf Fehlinformationen und fehlenden Informationen. Hat damit der Traum von der Informationsgesellschaft ausgedient? Soll alles bloss eine Utopie gewesen sein? Was nützt uns ein Gesetz, das die Presse- und Meinungsfreiheit garantiert, wenn die Medien gar nicht frei berichten (können)? Pressefreiheit bedeutet noch lange nicht, dass die Presse frei und unabhängig ist und dass in den Medien frei über das Zeitgeschehen berichtet wird. Ist die Pressefreiheit die Freiheit der Verleger zur Publikation eines bestimmten Weltbildes oder ist sie die Freiheit der Gesellschaft, ihr den Zugang zu allen relevanten Informationen zu gewähren, um dem einzelnen Bürger die Ausübung seiner rechtsstaatlich garantierten Bürgerrechte zu ermöglichen? Im letzteren Fall wäre sie eine Verpflichtung der Medien, den Informationsanliegen der gesamten Gesellschaft in angemessener und ausgewogener Art und Weise nachzukommen.
Dann aber dürfte eine Berichterstattung über Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Mali, Ägypten und Lybien nicht nur aus einer einseitigen Darstellung aus der Sicht der USA und Israels bestehen. Dann müssten alle Beteiligten und Betroffenen gleichermassen angehört werden. Wieviele Interviews mit der lokalen Bevölkerung in den jeweiligen Ländern, mit Baschar al-Assad, mit Talibans oder mit Mahmud Ahmadinedschad haben wir schon gesehen im Vergleich zu den Reden von Barack Obama, Hillary Clinton, Angela Merkel und Benjamin Netanjahu? Wäre es nicht interessant und wissenswert, alle Sichten in gleicher Ausführlichkeit zu erfahren? Wieviele Berichte haben wir im Fernsehen gesehen über die Bilderbergkonferenzen, die Rive-Reine-Konferenzen, die Sitzungen der Trilateralen Kommission oder des Council on Foreign Relations? Es gibt Geschehnisse von global höchster Tragweite, die in den Massenmedien nicht einmal eine Erwähnung finden. Hier scheint Pressefreiheit die Freiheit der Presse zur Verschwiegenheit zu sein. Auch wenn keine offiziellen Ergebnisse und Stellungnahmen vorliegen, so wären die Medien doch ganz bestimmt in der Lage, wenigstens eine ebenso qualifizierte Berichterstattungen zu erbringen wie im Vorfeld einer Fussball-Olympiade, Papstwahl oder US-Präsidentenwahl.
Das internetbasierte Informationszeitalter bringt uns nicht ein völlig neues Informations-Paradigma, verstärkt aber den von den klassischen Medien bereits vor Jahrzehnten eingeschlagenen Trend um eine neue Grössenordnung. Theoretisch über beinahe unendliche Informationsmöglichkeiten zu verfügen, macht uns noch lange nicht gut informiert, wir müssen sie auch aktiv und gezielt nutzen. Zum Glück gibt es alternative Internetmedien, die einen Grossteil der Fehler der Massenmedien korrigieren können. Eine Freiheit, ist nur dann wirklich eine, wenn sie auch genutzt wird. Wir sollten uns mehr darum kümmern.