Datenmissbrauch ohne Ende

Eine Welle von Meldung zu durchgeführten und geplanten Datenmissbräuchen und Verletzungen der Privatsphäre weltweit ging in den letzten Wochen und Tagen durch die Medien. Hier eine Auswahl dieser Meldungen:

  • Lidl hat es in Deutschland mit der Bespitzelung seiner Mitarbeiter zur Nominierung für die BigBrotherAwards geschafft.
  • Laut einem Bericht des Spiegel hat die Lufthansa einen Journalisten der Financial Times Deutschland ausspioniert, um interne Lecks im Aufsichtsrat aufzuspüren, und nutzte auf der Suche nach einem vertraulichen Gesprächspartner auch Passagierinformationen des Vielfliegers. Pikant daran ist, dass die ausgewerteten sensiblen Passagierdaten intern ohnehin mehreren tausend Mitarbeitern zur Verfügung stünden, weil die Fluggesellschaft einen „offenen Umgang“ mit sensiblen Kundeninformationen pflege. Trotzdem will die EU-Kommission die Fluglinien in den Mitgliedsstaaten mit einem heftig umstrittenen Vorhaben verpflichten, ausführliche Fluggastinformationen in Form der so genannten Passenger Name Records (PNR) 13 Jahre lang vorzuhalten, und diese Daten mit den USA gegenseitig austauschen.
  • Die Bundesregierung unseres nördlichen Nachbarn lässt nicht nur fleissig Informationen über das Kommunikationsverhalten der Bürger im Rahmen der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung sammeln, sondern liefert nun zusätzlich zu den Flugpassagierdaten weitere „Informationen zur Bekämpfung des Terrorismus und schwerer Kriminalität“ (Fingerabdruckdaten und DNA-Daten sowie auch Angaben zur sexuellen Orientierung und der Mitgliedschaft in Gewerkschaften von Personen, die „im Verdacht stehen, künftig terroristische Straftaten zu begehen“) an die USA unter einem bisher geheim gehaltenen „Kooperationssicherheitsabkommen“, ohne den Bundestag darüber informiert zu haben.
  • Der Bundestag selber gelobt Besserung beim Datenschutz nach dem Bespitzelungsskandal bei der Telekom und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine gründliche Untersuchung der Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom durch die Staatsanwaltschaft versprochen.
  • Die Bundesregierung beharrt weiterhin auf den geplanten heimlichen Online-Durchsuchungen.
  • USA-Urlauber müssen sich von Januar 2009 an spätestens drei Tage vor ihrer Ankunft im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ online bei den US-Behörden registrieren. In den kommenden Monaten sollen zudem sämtliche US-Grenzübergänge mit neuen Lesegeräten für Fingerabdrücke ausgestattet werden, die alle zehn Finger scannen – bisher ist dies erst an zehn Flughäfen der Fall. Und auch bei der Ausreise sollen von Juni 2009 an die Fingerabdrücke abgegeben werden.
  • In Ungarn erhob die ungarische Bürgerrechtsorganisation HCLU (Hungarian Civil Liberties Union) Verfassungsklage gegen die Verpflichtung von Telekommunikationsanbietern zur Protokollierung von Nutzerspuren (verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten), wie dies zuvor in Deutschland der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung mit seiner Verfassungsbeschwerde bereits getan hat.
  • Schweden will gemäss einem Gesetzesentwurf zur Verbesserung der militärischen Aufklärung an 20 Knotenpunkten die gesamte Netzkommunikation mit dem Ausland abhören und überwachen.
  • In der Schweiz wird nach dem biometrischen Pass ab 2010 auch noch die biometrische Identitätskarte (so nennen wir in der Schweiz den Personalausweis) eingeführt, auf dem Fingerabdrücke und Passfoto gespeichert werden. Schengen sei Dank!
  • Die Firma Phorm hat ihr neuartiges Konzept für personalisierte Werbung pilotiert und dazu in Zusammenarbeit mit Internet Service Providern den Internet-Verkehr der Surfer überwacht und daraus Profildaten erstellt. Die ahnungslosen Benutzer wurden nicht um ihre Erlaubnis gefragt und auch nicht einmal darüber informiert.

So, jetzt reicht’s! Müssen wir uns das wirklich bieten lassen? Da krieg ich wirklich einen dicken Hals! Was können wir dagegen tun?

  • Wir verzichten auf Reisen mit dem Flugzeug. Das schont zudem die Umwelt.
  • Ausweise mit Biometrie-Chip stecken wir in die Mikrowelle.
  • Gespräche mit vertraulichem Inhalt führen wir nur noch von Angesicht zu Angesicht. Das wird den Telekommunikationsunternehmen gar nicht gefallen, wird sich aber sicher positiv auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirken.
  • Emails verschlüsseln wir konsequent.
  • Wir schränken das Surfen im Web ein. Das spart Strom und lässt uns mehr Zeit für Ehepartner, Familie und Freunde.
  • Überall, wo (unverhältnismässig/unberechtigt) Daten über uns gespeichert werden, machen wir von unserem Auskunftsrecht gebrauch und verlangen schriftliche Auskunft über die gespeicherten Daten, den Kreis der Zugriffsberechtigten sowie den Verwendungszweck. Dies wirkt wie eine „Denial of Service“-Attacke und nervt die Datensammler.

Viele werden bei diesen Gedanken nur müde lächeln und mir sagen, dass sich dies alles wohl kaum so einfach umsetzen lässt und übrigens nicht genügend wirksam ist. Da mögen sie nicht ganz unrecht haben. Nur, untätig zuzusehen hiesse, sich in sein Schicksal zu fügen und die Opferrolle zu akzeptieren.

Die Überlegenheit der menschlichen Rasse besteht darin, sich an verändernde Lebensumstände anzupassen. Es bleibt uns ja kaum etwas anderes übrig. Diese Anpassungen steuert unser Grosshirn. Aber auch das Stammhirn bleibt nicht untätig: „Flucht oder Angriff?“, das ist hier die Frage. Flucht hiesse, sich geschlagen zu geben. Aber wohin sollen wir fliehen? Wenn wir in Freiheit leben wollen, müssen wir dafür kämpfen und uns für unsere Werte einsetzen. Es muss mehr getan werden, als bisher getan wurde. Es wird langsam Zeit, den Widerstand gegen die Überwachungsgesellschaft breit und systematisch zu organisieren! Oder wünscht sich jemand die Zeiten des Nationalsozialismus oder des Sowjetregimes mit den Gulags zurück?

Informatik wird vom Segen zugleich zum Fluch für die Informationsgesellschaft und zum Werkzeug von Machtgelüsten und Partikularinteressen, aber das muss nicht unbedingt sein. Auch mit einem Messer kann man ein Butterbrot streichen, aus Holz Figuren schnitzen oder jemanden durch die Brust ins Herz stechen. Entscheidend ist, was derjenige damit anstellt, der die Klinge führt. Gefragt ist Berufsethik! Verantwortungsvolle Informatiker können dazu beitragen, dass sich das Problem in Luft auflöst. Wenn kein Informatiker bereit ist, sich für die dunkle Seite der Macht einspannen zu lassen, bleiben die Überwachungspläne bloss ein Stück wertloses Papier. Ganz nach dem Motto: „Es herrscht totale Überwachung, aber keiner macht mit.“ Mehr dazu in Kürze auf diesem Kanal!

One thought on “Datenmissbrauch ohne Ende

  1. Manueller Trackback:
    Juni 2008 im Kontext

    […] Ich bedanke mich aber für drei Beiträge im Juni bei den jeweiligen Autoren, die entweder emotional auch meine Gefühle widerspiegeln – Datenmissbrauch ohne Ende –, analytisch den Stand der Dinge aus persönlicher Sicht aufbereiten – Renaissance. Gedanken zum Stand des Datenschutzes im Internet – oder schlicht eine individuelle Erfahrung berichten: Microsoft als Spammer entlarvt. […]

Comments are closed.