Das Buch „Selbstbehauptung des Rechtsstaats“ von Otto Depenheuer hat anscheinend den Deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble im Kampf gegen den Terrorismus (den es in Deutschland ja eigentlich gar nicht wirklich gibt oder zumindest noch nicht) zum Aufbau (s)eines Überwachungsstaates beflügelt. Von „Unpersonen“ und „Bürgeropfern“ ist dabei die Rede, wenn es darum geht, den in Gefahr geratenen Rechtsstaat zu schützen und retten. Dann ist nach Depenheuers Ansicht ein „Feindstrafrecht“ im Sinne eines Notstandsrechts als situativ permanenter Ausnahmezustand fern ab von rechtsstaatlichen Prinzipien parallel zum Rumpfrechtsstaat gerechtfertigt. Den sehr lesenswerten Beitrag „Freiwillige vor für das Bürgeropfer!“ von Matthias Becker las ich dazu gerade bei Telepolis.
Als Jünger von Carl Schmitt, dem „Kronjuristen des dritten Reiches“, zitiert Depenheuer diesen gerne und baut seine schrägen Ansichten über zwei parallele Rechtssysteme (eines für die weissen und eines für die schwarzen Schafe) auf Schmitts totalitärem Grundgedanken auf. Bei der Lektüre wird einem klar, wo Schäubles Reise zum Präventions- und Überwachungsstaat enden soll.
„Lesen Sie einmal das Buch ‚Selbstbehauptung des Rechtsstaats‘ von Otto Depenheuer und verschaffen Sie sich einen aktuellen Stand zur Diskussion“ antwortete Wolfgang Schäuble zum Stichwort Guantánamo ausweichend auf die Frage, wie weit der Staat im Kampf gegen den Terror gehen dürfe in einem Interview im August 2007 in der „Zeit“ (auch als PDF-Version). Vor diesem Hintergrund werden seine Anstrengungen in Sachen Online-Überwachung und Vorratsdatenspeicherung erst wirklich verständlich und nachvollziehbar. Schäubles Nachtlektüre über das sich für die Gemeinschaft opfernde Individuum offenbart eine Geisteshaltung, bei der es mir kalt über den Rücken läuft. Es erklärt aber die damals von rot-grüner Seite stammende Idee zum präventiven Abschuss entführter Passagierflugzeuge, die 2006 vom Bundesverfassungsgericht abgeschmettert wurde. Wie ein CDU-Politiker seine menschenverachtende, totalitäre Weltanschauung mit christlich-demokratischen Werten vereinbaren kann, ist mir ein Rätsel. Eine Partei, in der so etwas Platz hätte, geriete schnell ins Visier des Verfassungsschutzes und müsste verboten werden.
Die Verwirklichung dieser perversen Ideen ist nur mit modernster Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT/IKT) möglich und ich schäme mich für alle jene Kollegen meiner Zunft, die sich in den Dienst der „dunklen Seite der Macht“ stellen. Zum Glück sind das nur wenige, aber ihr Wirken ist dennoch fatal. Das ist, wie wenn sich Ärzte (wie etwa der KZ-Arzt Josef Mengele) im Namen der Wissenschaft und Forschung der Folterung und Tötung von Menschen verschreiben. Sie sind im Bann der technischen Machbarkeit und blind für das Leid der Menschen und die gesellschaftlichen Kollateralschäden, die sie mit ihrem Tun anrichten. Alle mächtigen Werkzeuge können jeweils sowohl für gute als auch für böse Zwecke verwendet werden. Das gilt ganz besonders auch für die Informatik.
Mit all meiner Kritik will ich nicht den fundamentalistisch-islamistischen Terror wegdiskutieren. Diesen gibt es. Aber erstens sind die Westmächte nicht ganz unschuldig an seiner Entstehung, deren Wurzeln bis auf die Zeiten der Kolonialisierung zurückgehen, und zweitens sind die Hintergründe und die Bedrohungslage in Wirklichkeit ganz anders als sie sich uns in der veröffentlichten Meinung darstellen. Seien wir also wachsam und lassen wir uns nicht für dumm verkaufen!