Second Life ist eine virtuelle Welt, in der sich Menschen aus der ganzen Welt und somit aus unterschiedlichen Kulturen und Rechtssystemen treffen. Dabei treiben sie ihr (Un-/)Wesen unter einer völlig anderen Identität in Form eines Avatars. Auf die speziellen sozialen Eigenheiten dieser virtuellen Welt im Cyberspace will ich aber gar nicht näher eingehen. Dazu wurde bereits eine ganze Menge geschrieben. Mich interessieren zur Zeit mehr die finanztechnischen und rechtlichen Aspekte. Wie jede Welt, welche der Evolutionsstufe des direkten Tauschhandels entwachsen ist, hat auch Second Life eine Währung – den Linden Dollar (LD – das Kürzel der Währung ist gleich wie meine Initialen 🙂 ). Warum alle Spiel-Währungen praktisch immer Dollar heissen müssen (seltener auch Taler, Pfund, Krone oder Schilling), ist mir bis heute ein Rätsel. Das Besondere am LD ist, dass er in reales Geld konvertierbar ist und so eine ökonomische Brücke zur realen Welt (d.h. zum First Life) existiert.
Grundsätzlich eignen sich die Linden Dollars hervorragend für das Waschen von Geld. Mich erstaunt, dass noch kein Fall von Geldwäscherei aufgeflogen ist. Auch die Finanzämter scheinen sich bislang nicht um in der virtuellen Welt erwirtschafteten Gewinne zu kümmern. So sind Einkünfte aus Second Life vorläufig steuerfrei und virtuelle Unternehmen müssen noch keine Bilanz erstellen. Wie die Geldmenge dieser Welt gesteuert wird, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen. Gibt es überhaupt so etwas wie eine Notenbank in SL? Was mir in Second Life am besten gefällt ist, dass niemand Land sein Eigentum nennen darf, sondern dieses quasi im Baurecht auf Zeit gegen Entrichtung einer Landnutzungsgebühr zur Nutzung zugewiesen bekommt. Die Höhe dieser Landnutzungsgebühr richtet sich nach der Grösse des Landbesitzes. Diese gerechte Art der Landverteilung kannten bereits die Indianer und die Kelten. Das macht mir SL sehr sympathisch.
Die rein ökonomischen Aspekte allein wären schon interessant genug, um darüber ein dickes Buch oder gar eine umfassende Studienarbeit zu schreiben. Mindestens ebenso interessant sind die rechtlichen Aspekte in der virtuellen Sekundärwelt. Jede höher entwickelte Gesellschaftsform erteilt sich selber Gesetze, welche die Form des Zusammenlebens in der Gemeinschaft regeln. Ausser den Nutzungsvereinbarungen konnte ich in SL aber bislang nichts derartiges entdecken. Wie das so ist, wenn keine expliziten Regeln definiert werden, kristallieren sich mit der Zeit implizite, d.h. nicht geschriebene Gesetze heraus. Wie ahndet oder ächtet aber die Sekundärgesellschaft Mitglieder, die sich nicht an die Regeln halten? Auch Avatare können kriminelle Handlungen begehen. Das reicht vom einfachen Taschendiebstahl bis zu bösen Betrügereien. Was passiert eigentlich mit einem Avatar, der quasi straffällig wird? Nach welchem Recht könnte er verurteilt werden? Welches Recht kommt zur Anwendung? In wessen Händen liegt die Rechtsgewalt? Inwiefern können Menschen einen Rechtskonflikt ihrer Avatare in der realen Welt austragen? Wenn ja, nach welchem Recht? Das sind Aspekte, die noch weitgehend ungeklärt sind.
Mittlerweile befassen sich bereits mehrere Leute mit diesen noch ungelösten Problemen der noch sehr jungen Cyber-Gemeinschaft. Jürgen Köhler schrieb erst kürzlich im Internet Briefing Blog einen Beitrag mit dem Titel „Second Life vor Gericht: Werden tausende Nutzer bestraft?“ und auch die Kommentare dazu sind wirklich lesenswert. Bei JuraWiki befassen sich bereits Juristen und juristisch Interessierte mit dem „Second Life Recht“ und am letzten Barcamp in Köln hielt Henning Krieg einen Vortrag über Recht und Second Life. persönlich.com befasste sich letzten Sommer mit Markenfälschungen in virtuellen Welten. Georg Eckelsberger schrieb bei pressetext Austria den Artikel „Rechtliche Freiräume verunsichern Unternehmen„. Götz Hamann und Jens Uehlecke schrieben in Die Zeit unter anderem über die Gesetzlosigkeit und das organisierte Verbrechen in Second Life in „Die nächste Kolonie des Kapitalismus„. Die Rechtsanwätlin Karolin Nelles meinte einleitend in ihrem Beitrag „Auch in Second Life gelten Recht und Gesetz“ bei COMPUTERWOCHE.de: „Wer Second Life für einen rechtsfreien Raum hält, ist auf dem Holzweg. Bewohner der virtuellen Parallelwelt müssen sich an Gesetze und Regeln halten“. Rechtsanwalt Wilfried Reiners in München stellt in „Das Gesetz in Second Life“ fest: „Ungeklärt ist aber noch die Ausgangsfrage, welches Recht in Second Life gilt. Mein Alter Ego antwortet ganz typisch anwaltlich: Es kommt darauf an.„
Will Second Life längerfristig überleben, wird das Soziale Netzwerk in der virtuellen Welt nicht umhin kommen, sich Gesetze zu geben, eine Rechtsprechung zu etablieren und sich Gedanken über die Geldpolitik zu machen.